Gedanken über Erwartungen – enttäuschend und wunderschön

„Expect nothing, appreciate everything“, ist ein Lebensmotto, das ich immer wieder höre. Und wann immer ich es höre, frage ich mich: Kann etwas noch weiter von der Realität entfernt sein? Natürlich ist mir klar, dass all die tiefsinnigen und lebensverändernden Instagram und tumblr Zitate nicht unbedingt 24/7 umsetzbar sind. Dass sie meistens am Sonntag noch verständnisvoll nickend geteilt und spätestens beim Weckerklingeln am Montag wieder über Bord geworfen werden. Aber beim genießen ohne Erwartungen – genauso wie dem im Moment leben und sich keine Zukunftsgedanken machen – ist der Unglaube (zumindest bei mir) extrem. Warum?

Sobald ich über die Zukunft nachdenke, einen Plan mache, einen Wunsch habe, stelle ich mir doch etwas vor, das passieren wird. Und wie. Damit habe ich auch schon eine Erwartung an diese Sache. Denn wer denkt sich denn neutral „Ich werde bald nach Hawaii reisen.“ Punkt, Gedanke beendet, keine Erwartungen? Bei mir kommen da eher Palmen dazu, Sandstände, Vulkane, Kokosnüsse zum Trinken, Blumenketten,… Das kann unendlich fortgesetzt werden.

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So sah es auf Hawaii tatsächlich aus – jedoch nicht nur!

Natürlich gab es auch all das, und doch… Auf dem idyllischen Roadtrip habe ich öfter mal verzweifelt nach einem guten Radiosender gesucht und einen tollen Blick verpasst. Die Blumenketten wurden einem auch nicht von freundlichen Hawaiianern am Flughafen überreicht. Und die Kokosnüsse zum Trinken haben wir irgendwie immer wieder verpasst (Luxusprobleme, ich weiß). Es gab viele andere Erwartungen, die übertroffen wurden – die Strände, die Schönheit der Natur, die fröhliche Stimmung der Menschen. Aber unabhängig ob enttäuscht oder übertroffen – so hundertprozentig erfüllt werden unsere Erwartungen doch nie. Irgendwas geht immer schief, irgendwas läuft nicht rund, fällt aus, klappt doch nicht. Und wir bleiben enttäuscht zurück.

Denn egal, wie niedrig wir unsere Erwartungen halten wollten, egal, wie häufig wir uns sagten: „Expect nothing, appreciate everything“, die schönen Erwartungen waren doch irgendwo im Hinterkopf und sind jetzt eben enttäuscht. Gedanken wie „so hab ich mir das aber nicht vorgestellt“ oder einfach eine allgemeine, dumpfe Unzufriedenheit stellen sich ein. Enttäuschung. Da nützt es mir auch nichts, mir einzureden, dass ich keine Erwartungen haben sollte, dass das ja alles nur halb so schlimm sei, wenn man nichts erwartet hätte. Denn das klappt für mich wie gesagt nicht, dafür ist es im Moment der Enttäuschung auch zu spät und verschlechtert meine Stimmung nur noch weiter. Wie also mit Erwartungen umgehen, um nicht permanent unzufrieden und enttäuscht durch die Gegend zu schlurfen?

Schon als Kind merkte ich, dass Dinge, die ich mir genau ausmalte, meistens (oder eher immer) nicht so abliefen. Mit einer gehörigen  Portion Vorstellungsvermögen ausgestattet, konnte ich aber auch damals schon das Kopfkino nicht abschalten und überlegte mir deshalb gezielt Horrorszenarien zu auf mich zukommenden Situationen – denn wenn ich mir etwas Schreckliches erstmal vorgestellt hatte, würde es ja so nicht mehr eintreten… Der Nachteil daran war, dass das Leben noch erfinderischer ist als ich und sich dadurch problemlos Wege einfallen lassen konnte, wie Dinge schief liefen, auf die ich niemals gekommen wäre. Und manchmal trat das Schlechte, das ich mir vorbeugend durchdacht hatte, dann einfach trotzdem ein…

Älter, weiser und um einige Enttäuschungen reicher, habe ich jetzt einen anderen Weg, mit Enttäuschungen umzugehen und damit denke ich auch einen für mich ganz guten gefunden. Der kam vor ein paar Wochen in London ganz gelegen, deshalb werde ich ihn auch anhand dieses Beispiels erklären. Zusammenfassen kann man ihn mal wieder mit einem tollen Zitat: „Life isn’t about waiting for the storm to pass, it’s about learning to dance in the rain“ – weniger fancy: „Mach das Beste draus!“ Hier die Situation in London: Ich war für ein Wochenende dorthin geflogen, um eine Freundin aus den USA zu besuchen, die dort studiert. In meinem Kopf zeigte sie mir ihre Lieblingsorte in der Stadt, wir würden vier Tage lang ununterbrochen quatschen und die Zeit aufholen, die wir auf verschiedenen Kontinenten verbracht hatten. In der Realität führte Verschiedenes dazu, dass ich im Endeffekt kaum Zeit mit ihr verbringen konnte und den Großteil der vier Tage allein war.

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Allein in London – und deshalb unglücklich?

Meine erste Reaktion: Enttäuschung. Wut. Traurigkeit. Und noch ein bisschen mehr Enttäuschung. Und die gönnte ich mir auch. Ich machte meinem Ärger Luft, ließ all die Enttäuschung raus – und machte dann das beste draus. Denn was hätte es mir gebracht, mich das Wochenende über im Hostel zu verkriechen, Pläne zu canceln oder nur halbherzig durchzuziehen?  Stattdessen machte ich mich auf die Suche nach Dingen und Orten, die ich schon immer mal in London sehen wollte. Ich malte mir neue Pläne aus, freute mich auf Neues. Ich ging in Museen, sah ein Musical, aß Cream Tea, machte eine Jack the Ripper Tour und entdeckte das supersüße Viertel Primrose Hill. Ich lief unendlich viel, weil ich das auf Reisen gerne tue, setzte mich aber auch mal mit meinem Buch auf eine Bank und machte eine Stunde lang nichts als zu lesen und Menschen zu beobachten.  Weil ich es so wollte. Es wurde ein schönes, sogar ein tolles Wochenende. Ein Wochenende, das so nicht geplant war, aber dadurch nicht schlechter sondern eben einfach anders wurde. Und während dessen es mir wohl auch gerade die anfängliche Enttäuschung ermöglichte, Kleinigkeiten zu genießen.

Auch wenn es in diesem Text wahrscheinlich so klingt, finde ich die „Expect nothing, appreciate everything“-Einstellung nicht grundsätzlich falsch. Auch ich hatte schon diese Abende, an denen ich nur noch auf dem Sofa gammeln wollte, mich dann doch nochmal aufraffte und erwartungslos die beste Zeit hatte. Das sind aber meiner Meinung nach eher erfreuliche Zufälle, als eine allgemeine Lebenseinstellung, denn für mich gehören Erwartungen und Vorfreude einfach zu Plänen und Vorhaben dazu und mit ihnen auch Enttäuschungen. Alles wertschätzen kann man dann ja immer noch.

Wie geht ihr mit erfüllten und enttäuschten Erwartungen um? Bis bald, Franzi